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Dürfen wir Fleisch essen?

Ein Gastbeitrag von Ursula Wolf

Das Fleisch ebenso wie die anderen Tierprodukte, die wir essen, stammen zum größten Teil aus der Massentierhaltung. Aber auch bei Tieren im ökologischen Landbau kann man nicht sicher sein, dass sie nicht beim Transport oder bei der Schlachtung leiden. Nehmen wir einmal an, Tierhaltung ohne Leidenszufügung sei möglich, geht es beim Fleischessen darüber hinaus um die Frage, ob man Tiere töten darf. Wie die richtige Entscheidung lautet, ist strittig.

Rinder Stall

Darf man Tiere für den Genuss von Fleisch töten? Wie die richtige Entscheidung lautet, ist strittig.

So vertritt z. B. Bart Gruzalski (in U.Wolf, Hrsg., Texte zur Tierethik, Stuttgart 2008)) einen weitgehenden Vegetarismus auf utilitaristischer Grundlage. Dabei spielt die Tötungsfrage in seiner Argumentation eine Nebenrolle. Er bezieht sich einerseits auf die Frage des Leidens, andererseits auf den menschlichen Nutzen. Was das Leiden der Tiere betrifft, so findet man häufig die Überzeugung, wir könnten Tiere, die nicht industriell gehalten werden, sondern auf konventionellen Bauernhöfen leben, nutzen und essen. Gruzalski bezweifelt, dass diese Tiere wirklich ein gutes Leben haben und angst- und schmerzfrei getötet werden. Dabei argumentiert er nicht für einen strikten Vegetarismus, sondern hält es für moralisch zulässig, dass man Tiere verzehrt, die zufällig gestorben sind oder überraschend bei der Jagd getötet wurden. Dann scheint es allerdings nicht sehr plausibel, wenn er den Verzehr von Tieren, die auf konventionellen Bauernhöfen getötet wurden, prinzipiell verurteilt. Dass diese faktisch oft nicht angst- und schmerzfrei getötet werden, heißt ja nicht, dass das notwendigerweise so sein muss. Umgekehrt gelingt das überraschende Töten bei der Jagd oft nicht, so dass die Jagd mindestens ebenso bedenklich sein müsste.

Evelyn Pluhar (im gleichen Band) tritt von einer starken Auffassung der Tierrechte her für den Vegetarismus ein, insofern sie jedem Wesen, das Ziele verfolgt, ein Lebensrecht zuspricht. Damit ist das Töten von Tieren nicht akzeptabel. Pluhar hält jedoch im Gegensatz zu Gruzalski die konventionelle Tiernutzung für möglich, und zwar nach dem Modell eines Nutzenaustauschs, bei dem Milch und Eier gegen Nahrung, Schutz und Fürsorge eingetauscht werden. Ob das Austauschmodell passend ist, scheint mir fraglich, denn Tiere haben kein Verständnis eines solchen wechselseitigen Nutzens. Aber in der Tat sind hoch entwickelte Tiere so flexibel in ihrem Verhalten, dass sie prinzipiell auch unter Bedingungen der Nutzung ein Leben in der Ausübung ihrer Fähigkeiten leben können, wenn man ihnen hinreichend Spielräume lässt.

Mary Anne Warren (im gleichen Band) verweist im Sinn der Tugendethik auf die Bedeutung bestimmter Formen der Praxis des Jagens und Fleischverzehrs für das menschliche Zusammenleben. So kann man nach ihrer Auffassung z.B. von Volksstämmen, für welche die Jagd Bestandteil ihrer Tradition ist, nicht verlangen, diese Praxis aufzugeben. Sie anerkennt auf der anderen Seite, dass wir die moralische Verpflichtung haben, Tieren keine Leiden zuzufügen und sie nicht zu töten. Wer Alternativen habe, sei daher zum Vegetarismus verpflichtet. Das scheint mir keine sehr klare Position zu sein. Solange wir die moralische Rücksicht auf Tiere an der Leidensfähigkeit festmachen, ist die Geltung des Tötungsverbots offen, und solange es offen ist, gibt es keine strikte Verpflichtung zum Vegetarismus. Das Töten im Rahmen der Jagd erzeugt jedoch häufig Angst und Stress, bei Misslingen der sofortigen Tötung außerdem Schmerzen. Es verstößt daher gegen das Verbot der Leidenszufügung, und dieses Verbot kann nach unseren gewöhnlichen Regeln der moralischen Argumentation nicht einfach durch Hinweis auf eine kulturelle Praxis oder Tradition außer Kraft gesetzt werden.

Den Verzicht auf das Fleischessen kann man also nur von einer moralischen Konzeption her fordern, welche Tieren in einem starken Sinn Rechte zuschreibt, die das Töten ausschließen. Wenn man nicht an Naturrechte oder Werte glaubt, ist diese Forderung aber nicht zwingend. Zwingend ist nur die Forderung, Tieren nicht ohne guten Grund Leiden zuzufügen. Und das bedeutet sicher einen eingeschränkten Konsum, da die industrielle Tierhaltung Leiden erzeugt und bei rücksichtsvoller Haltung nicht so viel produziert werden kann, dass eine Ernährung mit Fleisch und Tierprodukten im bisherigen Umfang möglich ist.


Ursula Wolf ist Seniorprofessorin für Philosophie an der Universität Mannheim.

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